Der erste Morgen.
Also, den Brotladen habe ich gefunden. Verlaufen hab ich mich nicht.
Bin ganz beruhigt; denn auf ’ner Insel kann man nicht verloren gehen, angeblich.
Und die haben mir sogar mit freundlichem Lächeln ein paar Brötchen verkauft.
Klar, sie kennen mich ja noch nicht. Noch spreche ich ja auch nicht fließend portugiesisch.
Soll’n sie dann schon mal sehen. Aber ob ich dann noch irgendwas da kaufen darf?
Aber was jetzt auf der Insel auf mich zukommt, das ist einmalig.
Das ist unglaublich, aber es ist wahr. Hinterher ist Lachen angesagt.
Aber nur wenn ich nicht in der Nähe bin.
Hier auf Madeira gehen die Uhren ja anders. Allerdings nicht nur die Uhren.
Und daß sie soo anders gehen, … wer kann das ahnen.
Hier auf der Insel scheint aber auch einfach alles anders zu sein.
Da lernt man automatisch das Zaubern -
was hier auf dem Kontinent nur von der Volkshochschule im Wintersemester angeboten wird.
Wo zuhause der Salzsteuer zu stehen pflegt,
da finde ich ihn hier nicht.
Ich finde auch den Kaffee nicht.
Der Wasserhahn sieht auf einmal auch so anders aus.
Gibt’s hier ’ne Kaffeemaschine? Glaub ich nicht. Sehe keine.
Nein, es gibt zwei, aber das wußte ich da noch nicht.
Ich habe beide nicht gesehen.
Und als ich eine davon entdeckt habe,
da weiß ich nicht wie diese Maschine auf Schwung zu kriegen sein soll.
Die zweite war zudem noch eine mit besonderer Bauart, nämlich eine Kaffeemühle.
Wo sind die Messer nur geblieben?
Teelöffel? Braucht man so was? Glaub ich seit gerade eben nicht, Finger geht auch.
Bis ich den Bogen hier raushabe, wäre jeder Kaffee auf alle Fälle kühl genug dazu.
Falls es jemals Kaffee geben sollte.
Der momentane Stand sieht stark nach Leitungswasser aus.
Zucker, hamwernich, gibbet nich. Wenigstens nicht sichtbar für mich.
Kaffee? Wo? Komisch, auch weg. Immer noch. Hatte ich überhaupt danach gesucht?
Eventuell Butter?
Wo ist denn hier der Kühlschrank?
Viele Knöppe dran, sieht aus wie ne Microwelle.
Ist auch eine, sicher ohne Butter.
Da brauche ich also gar nicht erst zu forschen.
Aber schauen muß ich doch, hier auf der Insel ist ja fast alles ganz anders.
Ich orte ihn irgendwie irgendwo, den Kühlschrank, schon mal die halbe Miete.
Kein Griff dran. Konnte ich ja nicht so einfach finden.
Im Kühlschrank finden sich Buttern. Mehrere.
Welche nehmen? Die eingepackte im Board?
Lieber nicht, gibt bestimmt noch angefangene. Bloß wo?
Da kommt wieder dieser Tunnelblick des Mannes
(bin ich einer, mal eben prüfen. Jo)
der sieht aus angeborenem Trieb niemals Butter im Kühlschrank.
Also kein wirklicher Grund für Sonderpanik.
Und hier, auf der Insel, bestimmt nicht;
denn hier gibt es eindeutig nur unsichtbare Butter.
Dafür sticht die Leberwurst sofort ins Auge, isses Leberwurst?
Die überblendet alles andere, besonders die Butter.
Soll ich doch die eingepackte nehmen?
Eier sind auch noch da. Direkt auf die Nase gebunden. Wär ne Idee.
Statt Kaffee ein Sonderfrühstück aus 5 Eiern. Tüchtig, tüchtig.
Geht nicht, finde keinen Eierkocher, keinen Topf, nichts, einfach nichts. Narda.
Ok, dann heute eben Brötchen roh und nackt. Sind ja noch warm.
Mit Vielleicht-Leberwurst drauf. Mal sehen. Kann ja nicht wirklich so übel sein.
Der Hunger wird’s schon reindrücken.
Irgendwo wird doch wohl Aufschnitt sein. Oder Jagdwurst?
Oder wenigstens Marmelade.
Das sieht hier auf einmal alles so total anders aus.
Hab ich alles nie gesehen. Ich seh sowieso nix mehr.
Stehe rum wie in Köln auf dem Hauptbahnhof –
ohne Fahrschein, was will ich hier?
Verstehe auch nur meine Gedanken genau so verloren, verschwurbelt, nicht real.
Lost in Space, lost in der Küche - Hilfe!
Obwohl ja eigentlich nichts Gefährliches da ist – außer mir.
Laßt mich jetzt ja nicht noch mal auf die Strasse zum Bäcker.
Der würde sicher blöd schauen, wenn ich da 2 Kilo Fleisch in ’ner Flasche haben möchte.
Obwohl – tolerant und lustig sind Madeirenser ja. Und für Spaß sind sie allemale zu haben.
Haben die eigentlich auch diese freundlichen Männer mit den weißen Jacken hinten zu knöpfen?
Wo?
Wo ist überhaupt der Kaffee? Soll ja vonnöten sein irgendwie.
Zucker? Nee nicht schon wieder, den hatte ich vorhin doch schon nicht gefunden.
Dann find ich ihn sicher jetzt. Oder auch nicht. Hab ich ihn überhaupt gesucht?
Aber dann geht mir die Idee an den Kaffee wieder flöten,
und dann gibt’s nur kaltes Zuckerwasser – anstatt Kaffee mit viel Milch.
Und unbelegte Brötchen, natürlich nicht aufgeschnitten, weil Messer Fehlanzeige sind.
Alles nur ne Sache der Motivation. Schönreden heißt das glaub ich. Ich übe schon mal.
Wo gibts hier Tassen?
Da müssen sich doch irgendwo Tassen verstecken.
Wie krieg ich die Türen zu den Regalen auf, nirgendwo ein Hebel oder Knopf zu sehen.
Schluck, hoffentlich reiße ich nicht ’ne Tür ab.
Dann gibt’s gar nix zum Frühstück – außer herbem Unmut. Auch nicht so prall.
Nehm ich mir –erst mal- die Milchtüte vor.
Ich suche nach Messern, mit denen ich die Milchtüte knacken kann.
Ich kann noch nicht mal die Schublade orten.
Ach, unnötig, da gibt’s doch so ’nen Hebel an dem Milchbrick.
Der ist natürlich gleich ab. Wie üblich. Auch perdue.
Bin ja so froh, daß ich die Tüte bei der Aktion nicht fallen ließ.
Es wird sicher ein schöner Tag heute.
Hab ich eigentlich den Kühlschrank gleich wieder zugemacht?
Ein Kontrollblick bestätigt wenigstens das.
Erfolg! Ich atme also noch.
Wo war nochmal der Kaffee? Schon wieder vergessen zu suchen,
abgelenkt durch das basse Erstaunen über die nicht gefundene Butter.
Und den zu-enen Kühlschrank.
Ich glaub’s einfach selber nicht, daß ich so dämlich sein soll.
Und der Glaube stirbt zuletzt. Und ich schieb’s auf die Balkonluft von abends davor.
Die hat mich wohl so high gemacht.
Also spitzes Messer, Schere? Wo wo wo?
Hier gibt’s so was nicht.
Mag ja sein, daß es hier mal so was gab.
Aber auf der Insel passieren sowieso viele Sachen anders.
Warum sollten nicht auch die Messer weg sein.
Messer; Schere, Licht … find ich auf Madeira nicht.
Muß ich halt an dem Verschluß etwas ohne Werkzeug rumpopeln.
Endlich Erfolg! Mit der Milchtüte.
Ich sehe zwar schon nix richtiges mehr, aber die verschwappte Milch schon.
Jetzt – wo hat sich denn der Lappen verkrochen
(das miese Stück läßt mich im Elend hängen, und die Wischpapiere halten sich solidarisch), um die Milch wieder zusammenzuraffeln.
Will mich ja nicht bis auf die Knochen blamieren, zu blöde zu sein,
ne portugiesische Milchtüte aufzumachen – ohne Schwapp.
Schwapp gibt’s hier nicht, man schwappt keine Milch über.
Das liegt aber an dem Piekser zum Anstechen der Tüte.
Bis drei kann ich nun wieder zählen, das sind nämlich die drei Löcher,
die durchgepiekst werden. Und – man hält die Tüte nicht zu fest. Sonst strahlt sie.
Das begreife ich dann eines anderen Tages auch noch.
Aber jetzt stehe ich rum, und schaue wie ein Schwein in’s Uhrwerk.
Ich sehe also gar nichts mehr so wirklich. Ich glaub’s auch nicht.
Black out, total blank. Hilflos.
Soll ich grinsen, soll ich wütend werden? Soll ich lachen?
Ich kann mich für nix entscheiden, so mache ich erst mal nichts. Nur staunen.
Das war wahrscheinlich noch das beste an diesem Morgen.
Vielleicht sogar das gescheiteste am ganzen Tag. Aber dazu sollte es nicht kommen.
Ich glaubs wirklich nicht. Manches ist mir schon passiert.
Aber ey, hier ist die Welt ganz anders. Es braucht hier Übung.
Spezielle Insel- Übung offensichtlich.
Ist es Panik? Ist es stummes Erstaunen über so viel eigene Blödheit?
Kann so was in so kurzer Zeit überhaupt passieren. Blutleere im Hirn?
Oder ist der Grund einfach die Insel, die Levada, oder gar die Katze,
die sich von mir fernhält. Sie ahnt wohl was.
Was ist denn hier los? Da steht ja eine Fleischschneidemaschine.
Na so was kenn ich doch, aber leider nützt die jetzt für die Brötchen nix.
Hilfe, ich stehe rum und weiß nicht wo ich bin,
was hier vorgeht. Wer hier rumsteht.
Ich laß heute mal besser die Finger von dem Gasherd.
Der ’Kaffee’ wird heute bestimmt ausfallen zugunsten kalten Zuckerwassers –
vorausgesetzt der Zucker sagt wo er ist. Und der Topf könnte auch mal Laut geben.
Schneller Kontrollblick: die Brötchen sind noch da?
Wo hatte ich die denn abgelegt? Ich seh sie nicht mehr.
Wo? Katze? Nee, die traut sich nicht, nicht bei mir jedenfalls.
Ah, welche Überraschung, auf dem Tisch.
Die Brötchen - nicht die Katze.
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